Die Glasindustrie verbraucht viel Energie und ist bislang stark von fossilen Brennstoffen abhängig. Wie ein Weg Richtung Klimaneutralität aussehen kann und welche Herausforderungen dabei bestehen, das erklärt Dr. Hildegard Römer im Video-Interview.

2015 lagen die CO2-Emissionen der gesamten deutschen Glasindustrie bei fast fünf Millionen Tonnen.  Die Emissionswerte in der Glasproduktion zu senken, ist insbesondere auch das Ziel von SCHOTT — einem der weltweit führenden Hersteller für Spezialglas mit Hauptsitz in Mainz. Das Unternehmen beschäftigt sich daher stark mit Forschungs- und Entwicklungsaktivitäten auf diesem Gebiet.

Einige Forschungsprojekte wie unter anderem  EniGlas, Eniglas II und FLO hat das Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz BMWK im Energieforschungsprogramm unterstützt. Forschende haben darin untersucht, wie sich der Schmelzprozess weiter elektrifizieren lässt, Rohstoffe effizienter einsetzen lassen und der Energieverbrauch insgesamt gesenkt werden kann. In der Praxis sind die Ergebnisse für alle Glasarten nützlich, da die wichtigsten Einflussfaktoren im Herstellungsprozess ähnlichen Mechanismen unterliegen und Erkenntnisse übertragbar sind. So können die Forschungsprojekte einen wichtigen Beitrag für SCHOTT und die gesamte Glasindustrie leisten.

Dr. Hildegard Römer ist stellvertretende Leiterin für die zentrale Forschung und Entwicklung bei SCHOTT. Im Video-Interview spricht sie außerdem über die Rolle der angewandten Energieforschung und die Aufgabe, für gemeinsame Ziele Entwicklungen auch zu teilen.

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Das Interview führten Leona Niemeyer und Kim Statzner, Wissenschaftsjournalistinnen beim Projektträger Jülich, im Rahmen des Kongresses Energieeffizienzforschung für Industrie und Gewerbe im Mai 2022.

Video-Schnitt: Kim Statzner und Claudia Roth

Voice-Over: Wie kann die Energiewende in der Industrie vorangebracht werden? Was muss passieren, damit Forschungsergebnisse schneller in die Praxis kommen? Und wie kann die Förderpolitik dabei helfen? Darüber haben Expertinnen und Experten beim Kongress Energieeffizienzforschung für Industrie und Gewerbe in Berlin gesprochen. Eine von ihnen ist Hildegard Römer, stellvertretende Leiterin der Zentralen Forschung und Entwicklung beim Glashersteller SCHOTT. Das Unternehmen zählt zu den weltweit führenden Herstellern von Spezialglas, das etwa in Ceranfeldern, Kameralinsen oder in der Medizintechnik eingesetzt wird.

Um Glas herzustellen und in die gewünschte Form zu bringen, ist sehr viel Energie nötig, die bislang überwiegend aus fossilen Quellen stammt. Seit einigen Jahren beschäftigen sich Römer und ihr Team deshalb damit, die Schmelzprozesse zu dekarbonisieren und die Energieeffizienz zu steigern. Einige der aufeinander aufbauenden Projekte hat das Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz im Energieforschungsprogramm gefördert. Wir haben Hildegard Römer am Rande des Kongresses getroffen und genauer nachgefragt.

Vor welche Herausforderungen stellt die Energiewende Ihr Unternehmen und wie gehen Sie diese an?

Römer: Die Herausforderungen sind sehr groß, weil wir ein sehr energieintensives Unternehmen sind. Wir brauchen sehr, sehr viel fossile Energieträger, um unser Glas herzustellen. Das Glas wird bei 1700 Grad geschmolzen. Das heißt, wir haben sehr hohe Temperaturen und wir verwenden fast ausschließlich Erdgas.

Wir hatten erste Forschungsprojekte in der Vergangenheit, in denen wir es geschafft haben, erste Umstellungen in Richtung elektrischer Beheizung zu realisieren. Das heißt, bei einzelnen Gläsern ist es uns gelungen, einen gewissen Anteil an elektrischer Energie in die Schmelze zu bringen und die fossilen Energieträger zu reduzieren. Aber das ist noch ein ganz weiter Weg und den Weg müssen wir gehen. Die Lösungswege werden letztlich in erster Linie der Einsatz von Strom, aber auch von Alternativen erneuerbaren Energien sein.

Welche Chancen tun sich gleichzeitig auf?

Römer: Chancen sehe ich für die Welt, für den Klimawandel, denn da wollen wir natürlich unseren Beitrag leisten — auch gerade als Stiftungsunternehmen, uns der Verantwortung stellen und versuchen unsere Prozesse umzugestalten, sodass wir keine Emissionen mehr verursachen. Das ist langfristig ein herausforderndes Ziel, aber auch natürlich eine große Chance für uns alle.

Welchen Beitrag leistet die angewandte Energieforschung, um die Energiewende in Ihrem Unternehmen voranzutreiben?

Römer: Die angewandte Energieforschung ist für uns ein ganz wichtiger Baustein an der Stelle. Energieeffizienz ist ein wichtiger Baustein. Und wir brauchen letztlich Änderungen unserer Prozesse und unserer Technologien. Das schaffen wir nur mit Forschungsprojekten, in denen wir aufzeigen, welche Wege realisierbar sind. Wir wissen das heute noch nicht wirklich, was die finale Lösung sein soll oder sein wird. Wir haben Ideen und die gilt es, jetzt zu erforschen.

Welche Rolle spielt die Forschungsförderung für Sie uns Ihre Arbeit?

Römer: Die Forschungsförderung hilft uns, unsere Entwicklungen zu intensivieren, zu beschleunigen und auch eine Kontinuität in unsere Forschung zu bekommen. Weil wir durch diese Förderprojekte zum einen die Chance haben, einfach breiter, tiefer die Probleme zu untersuchen. Und mehr Risiko zu reduzieren und damit auch die Erfolgswahrscheinlichkeit signifikant zu erhöhen, dass wir es wirklich schaffen.

Welche Ziele wollen Sie erreichen und wie können Ihre Erkenntnisse auch auf andere Unternehmen übertragen werden?

Römer: Wir haben uns zum Ziel gesetzt, 2030 klimaneutral zu sein. Das erreichen wir nicht komplett über den Technologiewandel. Wir haben vier Facetten, die wir hier betrachten, um dieses Ziel 2030 zu erreichen: Das ist auf der einen Seite der Technologiewandel, den wir für langfristige Umstellungen aber vorbereitet haben wollen. Die Energieeffizienz ist ein ganz wichtiger Punkt. Der Einsatz von Grünstrom. Und letztlich eine Kompensation bis 2030, soweit wir den vollständigen Weg noch nicht gegangen sind.

Wir haben natürlich auf der einen Seite eine gewisse Vorreiterrolle an der Stelle, die wir uns auch wirklich als Aufgabe gesetzt haben. Wir werden über unsere Ergebnisse berichten – auch auf Tagungen. Das heißt also, es wird eine gewisse Kommunikation in die Wissenschaft auf der einen Seite geben.

Auf der anderen Seite haben wir auch durchaus ein Interesse, Technologien an Nicht-Wettbewerber in Zukunft weiterzugeben. Das haben wir zum Beispiel auch mit der OxiFuel-Technologie gemacht, die wir in der Vergangenheit entwickelt haben. Im Unternehmen haben wir die mittlerweile fast vollständig ausgerollt und diese bringt eine Energieeffizienz von Größenordnung 30 Prozent. Und wir bauen tatsächlich auch Anlagen für Nicht-Wettbewerber in Deutschland mit diesen neuen Technologien. Also insofern denken wir, ein Rollout in andere Glasindustriezweige wird sicher möglich sein — wird ein Weg sein, das auch auszurollen.

Welchen Einfluss hat die Wirtschaftlichkeit, um neue Innovationen in die Anwendung zu bringen?

Römer: Wirtschaftlichkeit ist am Ende sicher ein ganz wichtiger Aspekt. Wir agieren als Unternehmen am globalen Markt und wir werden unsere Produkte nur verkaufen können, wenn wir im globalen Wettbewerb eben auch wettbewerbsfähige Preise anbieten können. Und das können wir nur, indem wir wirtschaftlich produzieren. Das ist sicher auch eine der ganz großen Herausforderungen, die wir auf uns zukommen sehen. Die Energiepreise beim Einsatz von erneuerbaren Energien werden höher sein, wenn wir die heutigen Preise  betrachten. Und da wird es noch irgendwelche Mittel und Methoden, auch viele Diskussionen geben müssen, wie man mit diesem Technologiewandel auch insbesondere global, international wettbewerbsfähig sein kann.

Es bedeutet aber aus unserer Sicht schon zum einen eine große Investitionsanstrengung und sehr hohe Betriebskosten, die da auf uns zukommen werden. Und das muss am Ende in irgendeiner Weise doch wirtschaftlich sein.

Gas ist für die Glasherstellung sehr wichtig. Welche Ansätze sehen Sie, um fossile Brennstoffe zukünftig zu ersetzen?

Römer: Aus meiner Sicht ist der effizienteste und wichtigste Ansatz die Substitution des Gases durch grünen Strom — also die direkte Energieeinbringung von Strom in die Glasschmelze. Den Weg werden wir gehen und ich bin relativ überzeugt, dass das nicht 100 Prozent von den Prozessen her funktionieren wird. Das heißt, wir werden auch noch immer eine Oberofen-Befeuerung in unseren Glas-Schmelzanlagen brauchen. Das heißt, wir brauchen an der Stelle Lösungen für die Oberofenbeheizung und das ist natürlich der grüne Wasserstoff oder vielleicht auch das Biogas, was uns hier diese Schritte ermöglichen kann. Das heißt also, der Hauptfokus ist wirklich Strom, Wasserstoff beziehungsweise grüner Wasserstoff, Biogas und vielleicht langfristig auch noch in irgendeiner Weise ein Carbon Capture — also eine CO2-Verwertung von Schritten, die wir vielleicht nicht durch Technologiewandel kompensiert bekommen.

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