Hochtemperatursupraleiter (HTSL) können Strom nahezu verlustfrei übertragen. Für die Energiewende könnten sie daher eine entscheidende Rolle spielen. Im Video erklärt Prof. Dr. Tabea Arndt, warum die HTSL-Forschung so wichtig ist, welche Rolle Vernetzung spielt und wie Praxistransfer gelingen kann.

Im Zuge der Energiewende werden viele Bereiche, in denen bisher überwiegend fossile Energieträger zum Einsatz kamen, zunehmend elektrifiziert. Dies betrifft etwa die Mobilität und verschiedene Industriezweige. Gleichzeitig ist die sichere Versorgung von Haushalten, Gewerbeflächen und öffentlichen Gebäuden mit elektrischer Energie ein zentrales Thema. Dazu gehört auch die Frage, wie klimaneutral erzeugter Strom — zum Beispiel aus On- und Offshore-Windenergie — möglichst verlustfrei über weite Strecken transportiert werden kann. Hochtemperatursupraleiter könnten diese Herausforderung in Zukunft meistern, denn die Technologie bietet eine besonders effiziente Möglichkeit, elektrische Energie zu übertragen.

Tabea Arndt ist Expertin auf diesem Gebiet: Sie leitet die Professur für supraleitende Magnettechnologien am Karlsruher Institut für Technologie (KIT) und ist zudem Kuratorin des Forschungsfeldes HTSL im Forschungsnetzwerk Industrie und Gewerbe. Im Video-Interview gibt sie Einblicke in die Welt der Hochtemperatursupraleiter und erklärt, warum intensive Vernetzung innerhalb und außerhalb des Forschungsfeldes hier eine besonders wichtige Rolle für den Praxistransfer spielt.

Das Interview führten Leona Niemeyer und Kim Statzner, Wissenschaftsjournalistinnen beim Projektträger Jülich, im Rahmen des Kongresses Energieeffizienzforschung für Industrie und Gewerbe im Mai 2022.

Video-Schnitt: Kim Statzner und Claudia Roth

Voice-Over: Wie kann die Energiewende in der Industrie vorangebracht werden? Was muss passieren, damit Forschungsergebnisse schneller in die Praxis kommen? Und wie kann die Förderpolitik dabei helfen? Darüber haben Expertinnen und Experten beim Kongress Energieeffizienzforschung für Industrie und Gewerbe in Berlin gesprochen. Eine von ihnen ist Tabea Arndt. Sie hat die Professur für supraleitende Magnettechnologien am Karlsruher Institut für Technologie. Unter anderem forschen Arndt und ihr Team zu Hochtemperatursupraleitern, kurz HTS oder HTSL. Zusammen mit Partnern aus Wissenschaft und Industrie entwickeln sie Konzepte für deren Einsatz. Unterstützt werden Sie dabei von der Forschungsförderung des Bundesministeriums für Wirtschaft und Klimaschutz. Für die Energiewende sind HTS sehr interessant, denn sie können große Mengen Strom nahezu verlustfrei transportieren. Wir haben Tabea Arndt am Rande des Kongresses getroffen und genauer nachgefragt.

Was macht Supraleiter und Hochtemperatursupraleiter so besonders?

Arndt: Supraleiter sind ja eigentlich schon sehr lange bekannt. Die metallischen Niedrigtemperatur-Supraleiter sind etabliert und haben auch einen sehr interessanten und großen Beitrag zur Industrialisierung und zur Wertschöpfung beigetragen. In der Medizintechnik zum Beispiel, in der Hochenergie-Physik, beim CERN, die Entdeckung des Higgs-Bosons – all das wäre ohne die metallischen Supraleiter gar nicht möglich gewesen, ebenso wie MRI-Geräte, Kernspintomographie und so weiter. Das Besondere an diesen Supraleiter ist tatsächlich, dass sie sehr hohe Ströme tragen können und das auch noch verlustfrei. Und damit kann man zum Beispiel auch sehr hohe Magnetfelder, homogene Magnetfelder erzeugen. Das Besondere daran ist eben tatsächlich, dass sie sehr effizient sind. Ich sagte es gerade, sie sind verlustfrei und können damit ohne großen Aufwand große elektrische Ströme transportieren. Dazu muss man natürlich auch in einen Kühlaufwand investieren und da kommen jetzt die Hochtemperatursupraleiter ins Spiel. Da reduziert sich nämlich der Kühlaufwand um mehrere Faktoren und damit wird die ganze Technologie einfacher. Durch diesen verminderten Kühlaufwand, den wir da anwenden müssen und durch zusätzliche Materialeigenschaften, die diese Hochtemperatursupraleiter, kurz HTS, tatsächlich mitbringen und damit für ganz neue Anwendungen sehr interessant werden.

Warum sollten HTSL einen hohen Stellenwert in der angewandten Energieforschung haben?

Arndt: HTS sind nicht nur energie-, sondern auch ressourceneffizient. Und das ist natürlich in der heutigen Zeit ein ganz besonders wichtiger Aspekt. Gerade auch wenn sie in Erweiterung in eine Kreislaufwirtschaft denken, wo wir ja langfristig auch hin müssen. Die Hochtemperatursupraleiter, HTS, bieten eben auch die Möglichkeit, Bereiche, die bisher unzulänglich gewesen sind, zu elektrifizieren. Es gibt im Prinzip keinen besseren Weg, elektrische Energie zu transportieren oder zu nutzen, was die Hochspannungs-Gleichstrom-Übertragung für die langfristige oder Großstrecken elektrische Energieübertragung ist – Das sind die Hochtemperatursupraleiter generell für den Stromtransport. Und deshalb wäre es sträflich, das an der Stelle nicht intensiv weiterzuverfolgen. Und gerade im Zusammenhang auch mit der Wasserstoff-Technologie ist das sehr interessant. Denn, flüssiger Wasserstoff zum Beispiel bietet so etwas wie eine natürliche Lebensumgebung für die Hochtemperatur Supraleiter. Hier haben wir überhaupt keine Kühl-Aufwände mehr und gerade dann kann man auf Systemebene so viele Vorteile realisieren, wie man das anderweitig nie tun könnte. Wir müssen für unser ressourcen- und energieeffizientes Energiesystem der Zukunft unbedingt die Hochtemperatur Supraleiter mit auf dem Schirm haben. Damit sparen wir nicht nur Kupfer, Stahl und seltene Erden, sondern auch noch Energie.

Welche Hemmnisse gibt es, HTSL in die breite Anwendung zu bringen und wie könnten diese überwunden werden?

Arndt: Viele Menschen haben tatsächlich über Supraleitung schon gemeint, fundamentale Dinge gelernt zu haben. Aber nicht alles ist heute noch wahr. Die neuen Materialien bieten dermaßen neue Optionen und einfache Handhabung, dass sie mit dem damaligen Erkenntnisstand sich weit davon entfernt haben und deutlich reifer geworden sind. Das muss man tatsächlich tun und dort in diesem Bereich Aufklärung und Erklärung schaffen. Wir arbeiten bei uns an der Universität tatsächlich zum Teil in dieser Hinsicht hin, weil es seit diesem Sommer eine spezielle Ausbildungsrichtung gibt: Angewandte Supraleitung für Elektrotechniker. Das ist also ein erster Schritt in diese Richtung. Und genau das müssen wir machen: Wir müssen die Berührungsangst der etablierten Ingenieure vor einer neuen Technologie beseitigen und dafür brauchen wir Aufklärung und Information an der Stelle.

Voice-Over: Neben ihren Aufgaben am KIT ist Tabea Arndt auch Kuratorin des BMWK-Forschungsfeldes HTSL. Darin bündeln Expertinnen und Experten aktuelle Fragestellungen und arbeiten an neuen Impulsen, um HTSL weiterzuentwickeln und nachhaltig in die Anwendung zu bringen. Gemeinsam schaffen sie Schnittstellen zwischen Forschung, Herstellern und Anwendern.

Welche Rolle spielt das Forschungsnetzwerk Industrie und Gewerbe für die Forschung in diesem Bereich?

Arndt: In dem Forschungsnetzwerk kommen tatsächlich alle Peers, also alle Mitspieler der Hochtemperatursupraleitung in Deutschland zusammen. Da gibt es eigentlich keine Ausnahme. Und egal in welchem speziellen Technologiebereich sie arbeiten, sie sind tatsächlich mit aktiv. Hier werden auch die Einzelergebnisse vorteilhaft kommuniziert. Das ist also ganz wesentlich, dass wir eine einheitliche Kommunikation in dem Forschungsfeld haben. Auch damit Fehler und Irrwege, die vielleicht in dem einen Projekt mal begangen worden sind, dann in einem anderen nicht noch einmal gemacht werden müssen. Man darf sehr wohl Fehler tun, aber man darf sie nicht zweimal tun und das wollen wir eben auch an der Stelle vermeiden. Und natürlich eine kritische Masse zusammenbringen, damit wir auch Dinge nicht nur erforschen, sondern in die Umsetzung bringen können. Deshalb haben wir alle kompetenten Partner tatsächlich mit dabei, um den sogenannten Technology Readiness Level in unserem Verbund auch weiter nach oben zu treiben.

Warum ist es sinnvoll, sich in Ihrem Forschungsbereich intensiver zu vernetzen?

Arndt: Intensivierte Vernetzung ist sicherlich gut, aber kein Wert an sich, sondern man muss es auch mit den richtigen Ansätzen machen und mit der richtigen Zielsetzung an der Stelle. Für das Netzwerken gilt allgemein: Es muss entweder zwecklos sein oder es muss für beide Seiten vorteilhaft sein. Eins von beiden. Es muss also ein Angebot oder ein Vorteil für alle dabei sein. Der Vorteil ist jetzt natürlich in der Energieeffizienz sehr leicht zu sehen. Denn, wenn wir tatsächlich die einzelnen Forschungsrichtungen und die einzelnen Komponenten und Produkte miteinander verknüpfen und auf die Systemsicht heben wollen, dann brauchen wir das. Beispiele für eine gute Vernetzung wäre für uns jetzt aus dieser Forschungsfeldsicht tatsächlich, wenn wir uns mit der Windenergie mehr vernetzen würden, wenn wir uns mehr vernetzen würden mit den Netzstrukturen. Denn da ist das System, das Zielsystem, wo wir die Energieeffizienz tatsächlich deutlich erhöhen können. Oder was auch ein ganz aktuelles Thema ist: in Richtung Wasserstoff.

Von den Anfängen bis in die Gegenwart der HTSL-Technologie hat sich viel getan. Was ist Ihr Tipp für den Praxistransfer?

Arndt: Die Supraleitung selber ist über 100 Jahre alt und wenn sie an den Entdecker der Supraleitung denken, war sein erster Traum, tatsächlich einen supraleitenden Magneten zu bauen. Dieses Projekt ist gescheitert nach nur einem Jahr. Wenn er heute auf unsere Vorhaben blicken würde, zum Beispiel den robusten wartungsarmen Magnetheizer für die Aluminium-, Kupfer- und Stahlindustrie, dann würde er sich wundern und wäre begeistert. Was ich damit sagen will ist: Es geht heutzutage nicht mehr um die Sinnhaftigkeit von Hochtemperatur-Supraleiter-Anwendungen, sondern es geht darum, diese Produkteinführung hinreichend zu begleiten und zu unterstützen, damit eben nicht die schon genannten Fehler noch einmal passieren.

Beiträge rund um den Kongress "Energieeffizienzforschung für Industrie und Gewerbe"

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