aktualisierte Fassung: 26.04.2024 | 04.04.2024

Supraleiter sind nicht erst eine Technologie für die Zukunft – sie sind bereits jetzt einsatzbereit, um elektrische Energie besonders effizient zu transportieren. Auch eine Sektorkopplung mit Wasserstoff und Mobilität ist möglich. Das haben Expertinnen und Experten auf der ZIEHL-Konferenz gezeigt.

Bei der mittlerweile neunten Ausgabe der Konferenz haben sich Fachleute aus Industrie, Wissenschaft und Politik darüber ausgetauscht, welche bedeutende Rolle die Hochtemperatursupraleitung (kurz: HTS) für eine erfolgreiche Stromwende spielt und verschiedene Anwendungsbeispiele vorgestellt.  Das diesjährige Programm der ZIEHL-Konferenz , die alle zwei Jahre vom Interessenverband Supraleitung ivSupra organisiert wird, war unter das Motto „Beschleunigung, Effizienz, Nachhaltigkeit“ gestellt. So gilt es, den Weg in die Praxis mit Umsetzungsprojekten zu beschleunigen, die Effizienz der Technologie herauszustellen und weiter zu kommunizieren sowie verschiedene Branchen mithilfe von Hochtemperatursupraleitern (kurz: HTSL) nachhaltiger zu gestalten. Einen wesentlichen Beitrag zum Programm leisten regelmäßig auch das Forschungsfeld HTSL aus dem Forschungsnetzwerk Industrie und Gewerbe sowie Forschungsprojekte, die vom Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz (BMWK) gefördert werden. Diese haben sich mit Vorträgen und mit einem eigenen Programmteil am zweiten Konferenztag vorgestellt.

„Für unser Forschungsfeld HTSL ist es ganz wichtig, dass wir uns immer wieder austauschen und aus den einzelnen Projekten lernen. Kleine Unternehmen, die über ein einziges Projekt in diese Community hineinkommen, werden hier sichtbar und können auf einmal helfen, bisherige Lücken zu schließen. Auf der ZIEHL können wir uns über neue Entwicklungen austauschen, ohne dass es eine wissenschaftliche Konferenz ist. Viel mehr können wir schauen, wie wir die Weichen stellen müssen, damit wir die Technologie voranbringen. Und zwar nicht nur als Selbstzweck für die HTSL-Community, sondern mit einem Nutzen für die Gesellschaft.“

Prof. Tabea Arndt, Karlsruher Institut für Technik KIT und Kuratorin des Forschungsfelds HTSL.
„Viele Forschungsvorhaben hätten in der Vergangenheit ohne eine Förderung durch das BMWK nicht durchgeführt werden können. Das Risiko der Entwicklung war noch recht groß. Durch den guten Austausch aller Akteurinnen und Akteure war und ist es möglich, gemeinsam Lösungen und Wege zu finden und jetzt auch zu schauen, wie es weitergeht. Daher ist es auch außerordentlich wichtig, dass die Forschungsprojekte aus dem Forschungsfeld HTSL und der ivSupra zusammenkommen und sich austauschen.“

Wolfgang Reiser, Vision Electric Super Conductors VESC und Vorsitzender des ivSupra sowie Projektleiter bei DEMO200.

HTSL in die Praxis bringen: Mehr Anwendungsbeispiele für längerfristige Erfahrungen

Den Programmteil des Forschungsfelds HTSL eröffnete Stefan Besser, Leiter des BMWK-Referats „Energieforschung – Projektförderung und Marktbereitung; Schlüsseltechnologien der Energiewende“. Mit seinem Grußwort gab er den Teilnehmenden Einblick in das neue, mittlerweile 8. Energieforschungsprogramm des BMWK. Insbesondere gute Projekte und größere Anwendungsbeispiele sind für den Einsatz der Technologie gefragt, damit der Weg in die breite Praxis geebnet wird — so der Tenor. Auch der parlamentarische Abend hat diese Aspekte hervorgehoben. Große Themen seien vor allem die Marktbereitung inklusive zu erfüllender Anforderungen und Genehmigungsverfahren sowie die Akzeptanz bei Anwendern und Gesellschaft. Aktuell fehlen längerfristige Erfahrungswerte, wodurch etwa Netzbetreiber noch verunsichert sind und davon abgehalten werden, sich für den Einsatz von Hochtemperatursupraleitung zu entscheiden. Für alle Beteiligten klar: Hieran muss gearbeitet werden.

„Bislang wachsen wir mit der Hochtemperatursupraleitung von unten, aus der Technologie heraus. Alle Projekte sind im Wesentlichen im Bottom-up-Prinzip entstanden – vom Material über die Systeme bis hin zu konkreten Anwendungsbeispielen, die einen Nutzen zeigen. Für den Praxistransfer sind jetzt Top-down-Aktivitäten gefragt – also auch ein Entschluss, den größeren Einsatz anzugehen und umzusetzen. Der parlamentarische Abend der ZIEHL-Konferenz hat die Möglichkeit gegeben, darüber zu sprechen und über dafür notwendige Rollenverteilungen zu diskutieren.“ , Tabea Arndt, KIT.
„Die Stromwende wird ohne Hochtemperatursupraleitung nicht funktionieren. Wir müssen schauen, wie die Technologie bestmöglich eingebunden werden kann. Von daher sind auch Gespräche mit den verantwortlichen Netzbetreibern und die Kommunikation mit den Behörden wichtig. Was ich sehe: häufig ist noch der Eindruck vorhanden, die Supraleitung sei etwas für die Zukunft. Nach dem Motto, das wäre vielleicht in zehn Jahren etwas. Dem müssen wir entgegnen, das Gegenteil ist der Fall. Wir müssen HTS einem breiteren Publikum bekannt machen und als Thema in die Gesellschaft hineingetragen. Die Hochtemperatursupraleitung ist mittlerweile eine reife Technologie, sodass sie auch eingesetzt werden kann. Das haben wir mit verschiedenen Projekten — auch in der Industrie — demonstriert.“, Wolfgang Reiser, ivSupra.

Sektorkopplung mit Hochtemperatursupraleitung voranbringen

Die auf der ZIEHL-Konferenz vorgestellten Projekte zeigen, welche vielfältigen Einsatzmöglichkeiten Hochtemperatursupraleiter mit sich bringen. So haben Forschende aus den Projekten SuperLink und HighAmp Einblicke in die städtische Stromversorgung mit HTSL-Kabeln in München und Köln gegeben. Aus dem Forschungsprojekt DEMO200 wurde über die effizientere Stromversorgung in der Aluminium-Industrie berichtet. Zudem gab es Vorträge aus dem Verkehrssektor — etwa zur effizienten und verlässlichen Stromversorgung des Bahnverkehrs am Gare Montparnasse in Paris oder der Anwendung von HTSL im Antriebsmotor von Flugzeugen und LKWs. Auch zum Einsatz in Windkraftgeneratoren und Rechenzentren sowie zur Sektorkopplung mit Wasserstoff haben die Expertinnen und Experten aktuelle Aktivitäten vorgestellt.

In DEMO200 entwickelt ein Forschungsteam Komponenten für ein HTSL-Stromschienensystem, das Gleichstrom mit 200.000 Ampere verlustfrei überträgt. In einer Versuchsanlage beim Aluminiumhersteller TRIMET in Voerde testen die Forschenden die Entwicklung. Das Forschungsprojekt läuft noch bis Ende 2024. Auf die Erkenntnisse aus DEMO200 baut das Anfang 2024 gestartete Reallabor der Energiewende SuprAL auf. Darin wollen Forschende eine 600 Meter lange HTSL-Stromschiene im realen Maßstab in einer Aluminiomproduktion erproben. 

Im Forschungsprojekt SuperLink wollen Forschende eine innovative HTSL-Kabel-Verbindung für den Einsatz in Ballungsgebieten und Großstädten wie München entwickeln. Das Kabel soll eine elektrische Leistung von 500 Megavoltampere (MVA) auf einem Spannungsniveau von 110 Kilovolt (kV) ökonomisch übertragen. Dabei soll es besonders schlank sein und einen Durchmesser von rund 20 Zentimetern aufweisen. Werden in Zukunft noch kleinere Durchmesser erreicht, wäre auch ein Retrofit denkbar – das heißt, dass ein solches Kabel-Design in bereits bestehende Kabelrohrsysteme integriert werden könnte. Das Forschungsprojekt SuperLink läuft noch bis Ende 2024.

In HighAmp entwickeln Forschende die Hauptkomponenten für ein 30 Meter langes, 3-phasiges Drehstromkabel für 20 Kilovolt. Im Vergleich zu herkömmlichen Gasdruckkabeln soll der Kabelaußendurchmesser gleich oder kleiner sein. Damit könnte der Einzug in bestehende Gasdruckkabel-Rohranlagen möglich und Tiefbaukosten sowie Störungen des innerstädtischen Verkehrs vermieden werden. Die Forschenden arbeiten zudem an einem neuartigen und innovativen Kühlungskonzept, das ohne Kryoflüssigkeitspumpe auskommt und im Vergleich zu bisherigen Konzepten langlebiger, wartungsärmer sowie wirtschaftlicher ist.

„Sektorkopplung ist in unserem Forschungsgebiet definitiv ein Thema. Zum Beispiel elektrische Energie und Wasserstoff – da sehe ich ganz großen Synergien, zu denen die Supraleitung beitragen kann. Ob das klassisch in der Stromversorgung von Elektrolyseuren mit hohen Strömen bei nicht so hoher Spannung ist oder die Synergie beim Transport von flüssigem Wasserstoff, der gleichzeitig zur Kühlung von Hochtemperatursupraleitern genutzt werden kann. Auch mit der Mobilität gibt es Schnittstellen: Supraleiter können für effizientere Antriebsstränge in Elektromotoren oder in der Luftfahrt eingesetzt werden. Und ganz neu wurde bei der diesjährigen ZIEHL-Konferenz auch der Einsatz in Rechenzentren vorgestellt.“, Tabea Arndt, KIT.

Akzeptanz und Bekanntheitsgrad von HTSL-Technologie steigern

Die vielfältigen Einsatzmöglichkeiten zeigen, dass Hochtemperatursupraleiter eine wichtige Aufgabe in der Energiewende übernehmen können. Neben der weiteren Technologieentwicklung und geeigneten Anwendungsbeispielen, spielt insbesondere der Wissenstransfer eine Rolle: der Bekanntheitsgrad der Technologie und ihrer Vorteile muss wachsen. Auch das beabsichtigen das Forschungsfeld HTSL und der ivSupra mit ihrer Arbeit und ihrem Austausch bei den ZIEHL-Konferenzen.

„Bei den Mitgliedern im Forschungsfeld HTSL und dem Interessenverband Supraleitung gibt es eine große Überlappung. Im Forschungsfeld stoßen aber auch neue Mitglieder dazu, die nicht im ivSupra sind. So können wir niederschwellig eine kritische Masse für unser Thema zusammenbekommen.“, Tabea Arndt, KIT.

Die Vorträge der neunten ZIEHL-Konferenz können im Downloadbereich der Veranstaltungswebseite abgerufen werden. (ln)

Hochtemperatursupraleiter: effizient und nachhaltig

Hochtemperatursupraleiter (HTSL) können elektrische Energie kompakt und ohne elektrische Widerstände übertragen. Für den Einsatz in Stromnetzen sind sie daher besonders geeignet, um Strom auf sehr schmalen Trassen zu transportieren und Netzverluste zu reduzieren. Auch die niedrigen elektromagnetischen oder thermischen Emissionen sind neben den platzsparenden Eigenschaften für den Einsatz in Ballungsgebieten interessant. In der Industrie können HTSL etwa in Stromschienen oder Magnetheizern angewendet werden und so die Energieeffizienz in Produktionsprozessen deutlich steigern. Zudem eröffnen sie neue Wege, um Industrieprozesse zu elektrifizieren und damit deren Energieversorgung zu dekarbonisieren. Dies trifft ebenso auf den Verkehrssektor — etwa beim Schiffs- oder Bahnverkehr sowie bei der Elektrifizierung des Flugverkehrs — zu.

Da Supraleiter im Vergleich zu herkömmlichen Leitern sehr hohe Ströme tragen können, verringert sich durch ihren Einsatz auch der Rohstoffbedarf. Sie sind somit gleichzeitig effizient und nachhaltig, was sie zu einer Schlüsseltechnologie in der Energiewende macht.

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