HTSL in der Aluminiumindustrie
Supraleitendes Hochstromsystem überträgt verlustfrei 200.000 Ampere Gleichstrom
Viele Industrieprozesse wie die Herstellung von Aluminium oder Stahl sind auf hohe elektrische Gleichströme angewiesen, deren Stromstärke im zwei- und dreistelligen Kiloampere-Bereich (kA) liegt. Aktuell versorgen massive und starre Stromschienensysteme die Prozessanlagen mit Strom. Sie produzieren dabei Abwärme, erfahren Energieverluste aufgrund des elektrischen Widerstands und benötigen viel Platz. Hochtemperatursupraleiter (HTSL) können eine Lösung bieten, da sie hohe Gleichströme nahezu verlustfrei übertragen. HTSL sind in der Anwendung bereits bis zu einer Stromstärke von 20 Kiloampere erprobt – so beispielsweise im Forschungsprojekt 3S – SupraStromSchiene. Der Sprung um den Faktor zehn auf 200 Kiloampere soll mit dem Forschungsprojekt „Neuartiges Supraleitendes Hochstromsystem für 200kA DC“, kurz: DEMO200, geschafft werden. Bei DEMO200 wird die HTSL-Technologie in der Aluminiumindustrie eingesetzt.
Mit Hochtemperatursupraleitern (HTSL)…
…lassen sich große Mengen Energie und CO2 einsparen. Im Gegensatz zu konventionellen Stromsystemen können sie in flüssigem Stickstoff bei ihrer Betriebstemperatur von 70 Kelvin (rund minus 200 Grad Celsius) hohe Gleichströme ohne elektrischen Widerstand und somit ohne elektrische Verluste leiten. HTSL geben keine Wärme ab, wie sie bei konventionellen Stromschienen aus Aluminium und Kupfer anfällt. Zudem bietet die HTSL-Technologie ökologische sowie landschaftsbauliche Vorteile: Sie benötigen keine umweltfeindlichen Isoliergase zur Kühlung, belasten nicht durch elektromagnetische Felder und können auf deutlich geringerer Fläche angewendet werden. Damit kann die HTSL-Technologie künftig auf eine hohe Akzeptanz bei BürgerInnen hoffen.
DEMO200 baut HTSL-Versuchsanlage für 200 Kiloampere Gleichstrom
Um die HTSL-Technologie im Hochstrombereich für die industrielle Anwendung voranzubringen, hat das Team von DEMO200 eine Versuchsanlage errichtet. Aufbauend auf den Ergebnissen des 20 Kiloampere-Forschungsprojekts 3S, entwickeln sie darin ein HTSL-Stromschienensystem der zweiten Generation aus Yttrium-Barium-Kupfer-Oxid -Bandleitern (YBCO). Dieses wird mit Stickstoff bei 70 Kelvin (K) gekühlt und überträgt Gleichstrom von 200 Kiloampere nahezu verlustfrei. Darüber hinaus kann das Stromschienensystem in DEMO200 modular zusammengesetzt werden. Entwickelt wird die Versuchsanlage von der Vision Electric Super Conductors (VESC) zusammen mit der Firma Messer und dem Institut für Technische Physik vom Karlsruher Institut für Technologie (KIT).
Stromverluste um rund 90 Prozent reduzieren
Als assoziierter Projektpartner ermöglicht der Aluminiumhersteller TRIMET, die HTSL-Technologie in einer Aluminiumhütte zu erproben. Der DEMO200-Versuchsaufbau wird in dessen Aluminiumhütte in Voerde, Nordrhein-Westfalen, errichtet.
In einer Aluminiumhütte werden sehr hohe Gleichstromstärken benötigt, da Primäraluminium elektrolytisch hergestellt wird. Das bedeutet, an den Elektroden im Schmelzofen findet eine Redoxreaktion statt, die durch Strom erzwungen wird und bei sehr hohen Temperaturen abläuft. Bei der TRIMET sind viele Dutzend Aluminium-Schmelzöfen in einer Reihe hintereinandergeschaltet. Die Produktionshallen auf dem Gelände in Voerde sind dazu mehrere hundert Meter lang. In Demo200 stellt TRIMET die Anforderungen an die HTSL-Stromschiene und überprüft diese im Versuchsaufbau. Hier werden wichtige Erkenntnisse für den industriellen Einsatz erwartet.
Aktuell werden in einer TRIMET-Aluminiumhütte in Hamburg konventionelle Stromschienen eingesetzt. Deren elektrische Verluste liegen bei rund 20.000 Megawattstunden (MWh) jährlich. Mit einem supraleitenden Stromschienensystem im Anwendungsbereich von 200 Kiloampere lassen sich über 90 Prozent dieser elektrischen Verluste vermeiden. Ein Vergleich: Die eingesparte Strommenge reicht aus, um eine Kleinstadt mit rund 5000 Haushalten mit Energie zu versorgen. Die verbleibenden Verluste von fünf bis zehn Prozent sind auf die HTSL-Stromzuführung sowie den Betrieb der Kältemaschinen zurückzuführen.
Die Aluminiumindustrie in Deutschland
Aluminium ist ein sehr vielseitiger Werkstoff und kommt in zahlreichen Anwendungsgebieten vor: als Alufolie im Alltag, als Komponenten im Auto, im Ladekabel eines Mobiltelefons oder in den Elementen einer Windkraftanlage. Als Leichtmetall weist es eine relativ niedrige Dichte auf. Laut Aluminium Deutschland e. V. (AD) gibt es in Deutschland rund 250 Betriebe mit 65.000 Beschäftigten, die Aluminium herstellen oder verarbeiten. Allein 2019 produzierte die deutsche Aluminiumindustrie etwa eine halbe Million Tonnen Aluminium sowie 700.000 Tonnen Recyclingaluminium und erwirtschaftete damit einen Umsatz von rund 21 Milliarden Euro. Ein gutes Drittel der deutschen Aluminiumproduktion wird exportiert, was die Aluminiumindustrie zu einer wirtschaftlich starken Branche macht.
Materialeinsparungen machen die Stromübertragung noch ökologischer
Neben der direkten Energieeinsparung in der Anwendung zeigt die HTSL-Technologie weitere energetische wie auch ökologische Vorteile. Im Vergleich zu konventionellen Leitern aus Aluminium und Kupfer können mit HTSL zwischen 50 und 90 Prozent Material eingespart werden.
Ebenso verringert sich bei Hochtemperatursupraleitern der Platzbedarf in der Betriebshalle. HTSL sind sehr kompakt und in einem geschlossenen System inklusive der Kühlung aufgebaut. Im Gegensatz zu anderen Systemen sorgt die direkte Kühlung der Leiter dafür, dass sie keine Wärme in die Umgebung abgeben, die im laufenden Betrieb abgeführt werden muss.
Testumgebung für besondere Anforderungen: Stromstärke zehnmal höher als in bisherigen HTSL-Anwendungen
Die einfache Skalierung erprobter HTSL Gleichstrom-Anwendungen mit 20 Kiloampere um den Faktor zehn auf 200 Kiloampere ist nicht ohne weiteres möglich. Daher handelt es sich bei DEMO200 um einen reinen Forschungs- und Entwicklungsdemonstrator ohne direkten Einsatz in der Industrie. Die Testumgebung wird speziell für das Forschungsprojekt in der TRIMET Aluminiumhütte in Voerde aufgebaut und ermöglicht, notwendige Kernkomponenten zu entwickeln und zu erproben. Dazu zählen das Stromschienensystem mit 500 bis 1000 parallel angeordneten YBCO-Bandleitern, eine geeignete Stromzuführung sowie Kupplungen, um die Stromschienen untereinander beziehungsweise mit der Stromzuführung zu verbinden. Neben den Stromschienen entwickelt das Team von DEMO200 im Testaufbau zudem ein wartungsarmes Kältesystem ohne Kältemaschine.
Das Forschungsprojekt DEMO200 wird damit auch zu einem wichtigen Baustein in der HTSL-Forschung und kann zukünftig weitere HTSL-Anwendungsgebiete erschließen helfen: Vorstellbar wäre etwa, Strom aus erneuerbaren Energien deutlich effizienter ins Netz einzuspeisen. Dort ginge es darum, Gleichstrom mit einer Stromstärke von 100 bis 200 Kiloampere verlustfrei auf Mittelspannungsniveau zu übertragen.
Modulares HTSL-System mit YBCO-Bandleitern und Kältesystem für widerstandsfreie Stromübertragung
Die Stromschienen und Stromzuführung sollen bei DEMO200 möglichst kompakt, energie- und materialeffizient sowie modular aufgebaut sein. Damit können einerseits Konstruktionsansätze ermittelt werden, die die genannten Potenziale der HTSL-Technologie optimal ausschöpfen. Andererseits kann so die Produktion flexibler gestaltet werden, was eine schnellere Reaktion auf veränderte Produktionsbedingungen erleichtert.
Die Hauptanforderung an das Kältesystem besteht darin, mithilfe von flüssigem Stickstoff die YBCO-Bandleiter zu kühlen und dazu konstant eine Kühltemperatur von 70 Kelvin bereitzustellen. Nur so ist eine nahezu widerstandsfreie Stromübertragung möglich.
Mit dem Versuchsaufbau in der Aluminiumhütte in Voerde kann das Team von DEMO200 insbesondere reale Betriebszustände des HTSL-Systems abbilden und mit der parallellaufenden Produktion im aktuellen Betrieb vergleichen. Die systemrelevanten Daten dienen dazu, Anwendungsgrenzen des modularen Stromschienen- und Kältesystems herauszufinden und zu analysieren sowie ein robustes Gesamtsystem zu konzipieren, das zukünftig für Aluminiumhütten eingesetzt werden kann. (ln)
Supraleitende Hochstromsysteme auch für Sektorkopplung und erneuerbare Energien geeignet
Die verlustfreie Übertragung von hohen Gleichströmen kann zukünftig großes Potenzial bieten, um erneuerbare Energien an das Stromnetz anzubinden. Bei aktuellen Systemen wird die gewonnene Energie von Solarparks oder Windkraftanlagen dezentral von Gleichstrom in Wechselstrom gewandelt. Erst danach wird sie über mehrere Kilometer bis zum Netzeinspeisungspunkt geleitet, dort ins Stromnetz eingespeist und wiederum zur Nutzung weitergeleitet. Dabei geht Energie verloren. In Zukunft könnten neu entwickelte HTSL-Systeme im Hochstrombereich die gewonnene Energie erst sammeln und noch als Gleichstrom verlustfrei zum Netzanschlusspunkt transportieren. Dort wird sie in einem zentralen Wechselrichter effizient umgewandelt und ins Netz eingespeist. Neben der energieeffizienten Stromübertragung sind die HTSL-Kabel auch aufgrund ihrer kompakten Bauweise vorteilhaft: Stromtrassen beispielsweise im urbanen Raum würden deutlich weniger Platz benötigen und sich einfacher in die Landschaft integrieren lassen. Ebenso ist eine neue HTSL-Technologie im Hochstrombereich dafür prädestiniert, ökologische und ökonomische Transportsysteme weiterzuentwickeln.
Das Forschungsprojekt DEMO200 kann mit neu entwickelten Komponenten und erweitertem Know-How über Anwendungsmöglichkeiten und -grenzen wesentlich zu zukünftigen HTSL-Entwicklungen beitragen.