Elsa Busson, Dr. Peter Kirchesch Brennstoffflexible Beheizung in der Stahlindustrie
Wir wollen kurzfristig auf die verfügbaren Wasserstoffmengen reagieren
Die Wärmebehandlung von Stahlband läuft bei Temperaturen von mehr als 670 Grad Celsius ab. Die dabei eingesetzten kontinuierlichen Glühanlagen und Feuerbeschichtungsanlagen nutzen bislang Erdgas als Brennstoff. Dieser Prozess ist sehr energieintensiv und emittiert große Mengen CO2.
Welchen Einfluss hat der anteilige bis reine Einsatz von Wasserstoff auf den Energieverbrauch und die CO2-Emissionen in der kontinuierlichen Stahlbandproduktion?
Kirchesch: Wenn wir den Prozess schrittweise auf Wasserstoff als Brennstoff umstellen, können wir die CO2-Emissionen der kontinuierlichen Durchlaufglühen sukzessive reduzieren. Übertragen wir dies dann zukünftig auf alle Brennersysteme unserer Durchlauföfen und versorgen diese mit 100 Prozent Wasserstoff, lassen sich die dort verursachten CO2-Emissionen vermeiden. Alleine thyssenkrupp Steel Europe und thyssenkrupp Rasselstein betreiben zusammen 14 Feuerbeschichtungsanlagen und kontinuierlichen Glühlinien. Wenn wir diese Anlagen auf grünen Wasserstoff umstellen, könnten wir rund 300.000 Tonnen CO2 jährlich einsparen. Für dieses Ziel betrachten wir natürlich die gesamte Wertschöpfungskette inklusive der Wasserstoffherstellung und des Transports. Grüner Wasserstoff muss in ausreichendem Maße verfügbar sein – das ist eine entscheidende Voraussetzung. Neben den CO2-Einsparungen durch den Wasserstoffeinsatz erwarten wir auch einen energetischen Einspareffekt durch die Weiterentwicklung der Brennersysteme, diesen wollen wir in FlexHeat2Anneal detailliert untersuchen.
Busson: In unserem Szenario sparen bis zu 20 Volumenprozent Wasserstoff im Erdgasnetz etwa sieben Prozent CO2 ein. Um bedeutende CO2Einsparungen von rund 50 Prozent zu erreichen, müssten zunächst 75 Volumenprozent Wasserstoff beigemischt werden. Welchen Einfluss Wasserstoff genau auf den Prozess hat, wollen wir in FlexHeat2Anneal herausfinden. Die Anlagen werden seit Jahren für Erdgas optimiert. Wenn wir auf einen neuen Brennstoff umstellen, ohne das System anzupassen, könnte das möglicherweise erst zu einer schlechteren Energieeffizienz führen. Daher wollen wir die bestehenden Systeme mit Wasserstoff untersuchen und für Erdgas-Wasserstoff-Gemische optimieren.
Was passiert in der kontinuierlichen Glühanlage für Verpackungsstahl?
Zu Verpackungsstahl zählen Produkte wie beispielsweise Konservendosen, Kronkorken oder Sprühdosen. Bei der Herstellung wird das Ausgangsmaterial Warmband zunächst auf die gewünschte Dicke reduziert. Beim Kaltwalzen wird es hart und spröde. In diesem Zustand ist das Stahlband als Verpackungswerkstoff nicht geeignet.
Um die finalen mechanischen Eigenschaften einzustellen und die Verformbarkeit des kaltgewalzten Bandes wiederherzustellen, ist eine rekristallisierende Wärmebehandlung nötig. Hierfür gibt es zwei Verfahren: Das Durchlaufglühverfahren und das Haubenglühverfahren. Das durchlaufgeglühte Material ist etwas härter als das im Haubenofen behandelte. Beim Durchlaufglühverfahren läuft das Band kontinuierlich und schnell durch eine unter Schutzgas stehende Glühofenanlage, die als D-Ofen oder Durchlaufglühe bezeichnet wird. Das Schutzgas verhindert die Oxidation der Stahloberfläche, die eine Blaufärbung verursachen würde. Sogenannte Strahlheizrohre trennen die Ofenatmosphäre von den Abgasen der Verbrennung.
Für das rekristallisierende Durchlaufglühen von Verpackungsstahl werden die einzelnen Stahlbänder zu einem Endlosband zusammengeschweißt. Die Oberfläche wird zuerst mittels Bürsten und Reiniger gesäubert, bevor der Verpackungsstahl im vorderen Teil des Glühofens auf 670 °C bis 750 °C aufgeheizt wird. Die Verweilzeit im Glühofen liegt unter zwei Minuten. Das Stahlband durchläuft den Ofen dabei in senkrechten Schlaufen. Auf den letzten 300 Metern wird das Endlosband wieder auf Raumtemperatur abgekühlt und nach dem Prozess wieder in einzelne Coils getrennt.
Durch welche technischen Besonderheiten beheizt das wasserstoffbetriebene System die Anlage effizienter als bisherige Systeme?
Busson: Wasserstoff als Brennstoff wird an sich nicht effizienter beheizen als Erdgas. In FlexHeat2Anneal entwickeln wir allerdings ganz neue Brenner- und Strahlrohrsysteme. Dabei wollen wir auch den Wärmetauscher optimieren und so die Energieeffizienz des Brenners erhöhen. Ebenso wollen wir die Strahlrohre für Wasserstoff optimieren. Dazu zählt, dass wir die Geometrie und den Werkstoff entsprechend anpassen. Hiermit planen wir, den feuerungstechnischen Wirkungsgrad der Anlagen von 75 Prozent auf 80 Prozent zu steigern.
Wie sieht es bei den Stickoxid-Werten aus – gibt es hier Unterschiede bei der Nutzung von Erdgas und Wasserstoff und wie gehen Sie damit um?
Busson: Die Stickoxidbildung (NOx) ist bei Verbrennungsvorgängen stark temperaturabhängig. Wasserstoff verbrennt sehr schnell. Die Verbrennung findet somit auf engerem Raum als bei Erdgas statt und erreicht höhere Flammentemperaturen. Wenn wir Wasserstoff anwenden, erwarten wir also höhere NOx-Werte als bei Erdgas. Das gilt insbesondere bei einem größeren Wasserstoffanteil. Eine bisher für Erdgas erprobte Lösung, um die NOx-Emissionen zu senken, ist die sogenannte Flammenlose Oxidation oder kurz FLOX-Verbrennung. Diese wollen wir nun für Wasserstoff untersuchen und sind zuversichtlich, dass sie auch damit funktionieren wird. Es kann allerdings auch Fälle geben, wo die FLOX-Verbrennung nicht möglich ist.
Dafür werden wir die Brennergeometrie, die Brennstoff- beziehungsweise Luftzufuhr sowie den Betriebsmodus des Brenners anpassen müssen, um möglichst homogene Flammentemperaturen zu erreichen. Wenn wir Erdgas durch Wasserstoff ersetzen, sind auch die gesetzlichen NOx-Grenzwerte eine Herausforderung. Diese sind für Messungen im trockenen Abgas definiert. Das bedeutet, nachdem das Wasser aus dem Abgas abgeschieden wurde. Bei der reinen Wasserstoffverbrennung haben wir allerdings deutlich mehr Wasserdampf im Abgas. Deshalb müssen wir uns zusätzlich Gedanken zur Abgasanalytik machen.
Warum sind die Flexibilität bezüglich des Gasgemischs und die automatische Anpassung des FLOX-Strahlrohrsystems sinnvoller als direkt auf 100% Wasserstoff umzusteigen?
Busson: Wir erwarten nicht, dass die Branche die Anlagen so schnell vollständig auf Wasserstoff umstellen kann. Alleine für alle Anlagen in Deutschland wären jährlich rund 650 Millionen Kubikmeter Wasserstoff nötig. Viel mehr wollen wir ein System entwickeln, das erstmal dessen Einsatz in geringeren Anteilen – je nach Verfügbarkeit – möglich macht. Damit können Anlagenbetreiber bereits mit kleinen Mengen Wasserstoff arbeiten und ihren CO2-Ausstoß reduzieren. Wenn zukünftig größere Mengen an grünem Wasserstoff verfügbar sind, sind die Anlagen bereits in der Lage, ohne weitere Anpassung mit diesen zu funktionieren. Damit wollen wir kurzfristig eine zukunftsfähige Möglichkeit schaffen, mit der wir auf die verfügbaren Wasserstoffmengen reagieren und emissionsarme Beheizungssysteme betreiben können.
Kirchesch: In Flexheat2Anneal soll der Einsatz von Wasserstoff in Erdgas von 0 bis 100 Volumenprozent möglich sein, ohne dass wir die Gesamtanlage manuell anpassen müssen. Selbst wenn beide Brennstoffe flexibel und zeitlich schwankend eingesetzt werden, wollen wir eine hohe Prozessstabilität, Energieeffizienz sowie geringste NOx-Emissionen erreichen. So leistet dieses Vorhaben bereits frühzeitig einen Beitrag zur Dekarbonisierung und steigert gleichzeitig die Akzeptanz von Wasserstoff in der gesamten Industrie.
Welche technischen Voraussetzungen müssen erfüllt sein, damit das Strahlrohrsystem Wasserstoff flexibel als Brennstoff nutzen kann?
Busson: Wasserstoff und Erdgas haben unterschiedliche Verbrennungseigenschaften, aber vor allem auch unterschiedliche Dichten. Wer Wasserstoff durch Erdgas ersetzt, benötigt deutlich höhere Brenngasvolumenströme, um dieselbe Leistung zu erreichen. Auch der benötigte Luftvolumenstrom ändert sich mit schwankender Brennstoffzusammensetzung. Wir müssen also Brennersysteme entwickeln, die in der Lage sind, auf die verschiedenen Volumenströme und Zusammensetzungen zu reagieren und ihre Einstellungsparameter entsprechend anpassen. Hierfür müssen wir unter anderem die Steuerung der Anlage konfigurieren. Weiterhin müssen wir an hohen Standzeiten und der Umweltverträglichkeit der Brenner- und Strahlrohrsysteme arbeiten. Diese müssen wir trotz höherer Verbrennungstemperaturen und höherer NOx-Werte sicherstellen.
Welche Lösungsansätze verfolgen Sie dazu im Projekt FlexHeat2Anneal?
Busson: Zunächst wollen wir die bestehenden Strahlrohrsysteme von thyssenkrupp Rasselstein analysieren. Hierfür werden wir diese im Labor des Instituts für Industrieofenbau und Wärmetechnik IOB an der RWTH Aachen untersuchen – erst mit Erdgas und anschließend mit Erdgas-Wasserstoffgemischen von 0 bis 100 Volumenprozent. Wir werden dabei die Temperaturen am Strahlheizrohr, die Abgaszusammensetzung sowie die Betriebsparameter betrachten. Anhand der gewonnenen Erkenntnisse entscheiden wir, wie wir die neuen Systeme entwickeln müssen. Optimaler Weise müssen wir nur wenige Parameter anpassen oder ändern, sodass wir bereits existierende Systeme umrüsten können. Die innovativen Demonstratoren bauen wir anschließend bei thyssenkrupp Rasselstein ein.
Kirchesch: Bei uns erproben wir dann das entwickelte Strahlrohrsystem im industriellen Umfeld. Die zwei Demonstratoren installieren wir in einer von insgesamt drei kontinuierlichen Glühlinien für Verpackungsstahl bei thyssenkrupp Rasselstein. Dazu gehört nicht nur, dass wir die Systeme austauschen. Ebenso müssen wir die Gasversorgung anpassen und die Strahlheizrohre und Brenner umfassend mit Messtechnik ausstatten. Diese dient zur Evaluation des Ofenbetriebs, der Energieeffizienz sowie der Schadstoffemissionen. Mit den Ergebnissen wollen wir untersuchen, welche Auswirkungen es hat, die kontinuierliche Glühlinie von fossilem Erdgas auf Wasserstoff umzustellen. Weiterhin können wir so das reale Potenzial ermitteln, wie viel CO2 wir letzten Endes im Prozess einsparen können.
Was bedeutet ein flexibler Einsatz von Wasserstoff beziehungsweise Wasserstoff-Erdgas-Gemischen für den Prozess und die Strahlrohrsysteme?
Busson: Um die Anlage flexibel ohne jegliche manuelle Anpassung betreiben zu können, benötigen wir Strahlrohrsysteme, die sowohl mit 100 Volumenprozent Erdgas als auch 100 Volumenprozent Wasserstoff und allen Mischungen dazwischen optimal arbeiten können. Wichtig ist, dabei einen stabilen Prozess gewährleisten zu können. Das bedeutet, dass eine Änderung der Brennstoffzusammensetzung keine Auswirkungen auf die Wärmebehandlung hat und den Prozess nicht beeinflusst. Wir müssen also Systeme entwickeln, die trotz schwankender Brennstoffzusammensetzung eine konstante Leistung und Temperaturverteilung am Strahlheizrohren garantieren.
Welchen Belastungen sind die Systeme ausgesetzt, insbesondere wenn der Wasserstoffanteil schwankt?
Busson: Wie schon erwähnt sind die größten Unterschiede zwischen Erdgas und Wasserstoff ihre Dichte und ihre Flammengeschwindigkeit. Mit schwankendem Wasserstoffanteil, erwarten wir also schwankende Brennstoffvolumenströme sowie eine unterschiedliche Flammenausbildung. Wasserstoff verbrennt deutlich schneller als Erdgas, sodass sich im Vergleich kürzere Flammen ausbilden, die somit auch näher an der Brennermündung liegen. Ohne Gegenmaßnahme unterliegt der Brennerkopf im Wasserstoffbetrieb deutlich höheren Temperaturen. Dies kann zu einem erhöhten Verschleiß der Brennerkomponenten führen. Weiterhin müssen wir untersuchen, ob sich andere Temperaturverteilungen am Strahlheizrohr ergeben und ob die hohen Wasserdampfanteile im Abgas einen Einfluss auf das Strahlheizrohrmaterial haben. Alle diese Parameter können die Lebensdauer der Strahlrohrsysteme beeinflussen.
Wie beeinflussen die Gasanteil-Schwankungen zudem das Endprodukt? Was ist nötig, um eine gleichbleibende Qualität gewährleisten zu können?
Kirchesch: Eine schwankende Gaszusammensetzung hat erst mal keinen direkten Einfluss auf die Produktqualität. Viel entscheidender ist es, das Material trotz dieser Schwankungen weiterhin homogen zu erwärmen und die für die Materialeigenschaften notwendige Temperaturführung jederzeit sicherzustellen.
Sie wollen die neuen Brennersysteme in einem realen Industrieofen demonstrieren und damit auch die Akzeptanz der Technologie steigern. Was fehlt aktuell für eine breite Akzeptanz von neuen Wasserstoff-geeigneten Brennersystemen? Inwiefern kann die Demonstration dabei unterstützen?
Kirchesch: Zum einen wollen wir mit FlexHeat2Anneal zeigen, dass eine schrittweise Umstellung von Erdgas auf Wasserstoff möglich ist. Zum anderen soll die entwickelte Lösung nicht nur für neue Strahlrohrsysteme, sondern möglichst auch für Retrofit-Installationen geeignet und damit auch eine kurzfristige Umsetzung möglich sein. Mit den Systemen aus FlexHeat2Anneal können wir bereits frühzeitig den richtigen und sicheren Umgang mit dem neuen Energieträger erlernen und dieses Wissen weitergeben.
Lassen sich die Ergebnisse von FlexHeat2Anneal zukünftig auch auf andere Anlagen in der Stahlproduktion oder Thermoprozesstechnik übertragen?
Kirchesch: Wir führen die Versuche zunächst an zwei Strahlheizrohrsystemen in einer kontinuierlichen Glühlinie für Verpackungsstahl durch. Das Forschungsvorhaben ist darüber hinaus aber ein wichtiger Teil der umfassenden und langfristigen Dekarbonisierungsstrategie von thyssenkrupp Steel Europe, die neben der Eisen- und Stahlerzeugung auch alle nachgelagerten Produktionsprozesse umfasst. Sie basiert auf der Selbstverpflichtung von thyssenkrupp Steel Europe, bis zum Jahr 2045 komplett klimaneutral zu sein. Daher haben wir selbstverständlich das Ziel, die Ergebnisse auch für die beiden weiteren Glühlinien bei thyssenkrupp Rasselstein zu verwenden. Darüber hinaus wollen wir die gewonnenen Erkenntnisse aber auch an den Feuerbeschichtungsanlagen und Glühlinien für Feinblech bei thyssenkrupp Steel Europe nutzen.
Busson: Etwas allgemeiner gesehen dienen die Ergebnisse des Projektes zunächst als Grundstein für die Dekarbonisierung kontinuierlicher Glühlinien und Feuerbeschichtungsanlagen. Die gewonnenen wissenschaftlichen Grundlagen können zukünftig auch zur Kommerzialisierung flexibler Brennersysteme führen, die in zahlreichen Industriebereichen eingesetzt werden. Das kann etwa in Anlagen für die Nichteisen-Metallurgie, für die Produktion von Glas, Keramik oder auch für die Chemieindustrie sein.
Das Interview führte Leona Niemeyer, Wissenschaftsjournalistin beim Projektträger Jülich.