Australischer Dornteufel wird zum Vorbild
Bionische Strukturen reduzieren Werkzeugverschleiß bei der Leichtmetallbearbeitung
Bauteile aus Aluminium kommen in vielen Bereichen vor, etwa im Flugzeugbau oder in der Automobilbranche. Um das Leichtmetall zu zerspanen, werden Fräswerkzeuge eingesetzt. Die Schneide, die das Aluminium abträgt, wird dabei schnell heiß und verklebt im schlimmsten Fall mit dem Material. Daher kühlen sogenannte Kühlschmierstoffe (KSS) die Kontaktstelle und reduzieren den Werkzeugverschleiß. Zusätzlich helfen sie, die herausgelösten Späne möglichst sauber abzuführen. Jedoch ist ihr Einsatz sehr energieintensiv: Maschinenbedingt ist es nur möglich, die Kontaktstelle nass zu bearbeiten. Dazu müssen große Mengen Schmiermittel bereitgestellt, gepumpt und gefiltert werden.
Aluminium energieeffizient zerspanen, Schmiermittel einsparen
Eine Lösung kann die sogenannte Minimalmengenschmierung (MMS) sein. Bei dieser wird Schmiermittel nur tröpfchenweise an den entscheidenden Stellen aufgebracht. Das Team des Forschungsprojektes BionicTools entwickelt dazu geeignete Fräswerkzeuge mit laserstrukturierten Oberflächen. Diese sollen das Schmiermittel transportieren können.
Damit sind sie deutlich energieeffizienter: Jährlich könnten rund 16.500 Megawattstunden (MWh) Primärenergie eingespart werden, würden zukünftig ein Drittel der deutschlandweit genutzten Bearbeitungszentren nach diesem Prinzip funktionieren – das haben die WissenschaftlerInnen von BionicTools errechnet. Zur besseren Vorstellung über die Dimension: Damit lassen sich etwa 5500 Haushalte ein Jahr lang mit Strom versorgen, basierend auf einem durchschnittlichen Stromverbrauch von 3000 Kilowattstunden (kWh) pro Jahr.
Bionik: Effizienz aus der Natur abschauen
Technische Innovationen sind oftmals von der Natur inspiriert. Wenn WissenschaftlerInnen dann Naturphänomene in die Technik übertragen, wird von Bionik gesprochen:
Biologie + Technik = Bionik
Die Bionik beschreibt damit eine interdisziplinäre Zusammenarbeit. Ihr Ziel ist es, Erkenntnisse von biologischen Vorbildern zu abstrahieren, zu übertragen und anzuwenden, um so technische Problemstellungen zu lösen. Beispiele für Bionik gibt es viele – etwa den sogenannten Lotuseffekt bei Wandfarben. Wie bei den Blättern der Lotusblume perlen Flüssigkeiten und Schmutz einfach ab. Das macht die Wandfarben insbesondere für den Außenbereich attraktiv.
Die innovative Oberflächenstruktur ermöglicht es, die Minimalmengenschmierung beim Fräsen einzusetzen. Damit verschleißen die Werkzeuge weniger schnell, können länger genutzt werden und verbrauchen zudem erheblich weniger Schmierstoff. Weil dadurch weniger Sonderabfall entsteht, sind sie weitaus umweltfreundlicher.
Dornteufel und Rindenwanze inspirieren die Oberflächenstruktur für Fräswerkzeuge
Bei der Minimalmengenschmierung wird Schmiermittel bedarfsgerecht an der Zerspanstelle eingesetzt. Dies funktioniert konventionell mit einem Öl-Nebel, der per Druckluft zugeführt wird und das Fräswerkzeug benetzt. Technisch ist das jedoch eine Herausforderung, da die Zerspanstellen oftmals schwer zugänglich sind. Um dieses Problem zu lösen, haben sich die WissenschaftlerInnen aus BionicTools natürliche Vorbilder gesucht: den Dornteufel – eine australische Echsenart – sowie die Rindenwanze.
Der Dornteufel kann, ohne sich zu bewegen, Tautropfen von seiner Haut zum Mund leiten. Dafür verantwortlich ist seine Schuppenstruktur. Zwischen den einzelnen Schuppen befinden sich kapillarartige Kanäle, die die Flüssigkeit sammeln und dann gerichtet weiterleiten. Diesen Kapillareffekt wollen sich die WissenschaftlerInnen aus BionicTools zunutze machen und die Schneiden des Fräsers mit einer ähnlichen Oberflächenstruktur versehen. So könnte das Schmiermittel tröpfchenweise zur Schneidenkante transportiert werden und diese benetzen.
Die Rindenwanze besitzt eine ähnliche Schuppenstruktur. Diese leitet aufgrund ihrer Eigenschaften zudem ölige Flüssigkeiten besonders gut – sie ist lipophil. Auch diese Eigenschaften sollen in BionicTools nachgeahmt werden. Das Forscherteam will am Schneidkeil superlipophile Oberflächen erzeugen, damit das Schmiermittel noch effektiver seine Aufgaben – kühlen und Verschleiß reduzieren – erfüllt. Die Oberflächenstrukturen sollen mittels Ultrakurzpuls-Lasertechnologie (UKP) hergestellt werden.
Minimalmengenschmierung ist deutlich ökologischer als Nassbearbeitung
Was ist der Kapillareffekt?
Der Kapillareffekt ist ein physikalisches Phänomen und beschreibt, wie sich eine Flüssigkeit in einem engen Raum – etwa einem schmalen Spalt oder einer dünnen Röhre – verhält. Dabei wirken auf die Flüssigkeit sogenannte Kapillarkräfte. Durch diese steigt die Flüssigkeit entweder in der Röhre hoch oder sie sinkt in der Röhre ab. Welcher Kapillareffekt wirkt, ist abhängig davon, ob die Flüssigkeit das Rohrmaterial benetzen kann oder nicht. Ein gutes Beispiel ist ein Strohhalm im Wasserglas: Das Wasser im Strohhalm steht höher als das Wasser im Glas. Dabei ist zu erkennen, dass das Wasser an den Wänden des Strohhalmes hochgezogen wird.
Ähnlich sieht das bei der kachelartigen Oberflächenstruktur des Dornteufels aus: In den Engstellen zwischen den Schuppen wirken Kapillarkräfte. Sie bewirken den Flüssigkeitstransport und leiten diese auch in breiteren Stellen weiter. Diesen Effekt wollen sich die WissenschaftlerInnen im Forschungsprojekt BionicTools nun zunutze machen und auf die Fräswerkzeuge übertragen.
Die natürlichen Vorbilder können dabei helfen, Aluminium zukünftig ökologischer zu zerspanen. Aktuell erfolgt die Kühlmittelschmierung überflutend. Diese Nassbearbeitung benötigt pro Minute rund 50 Liter Schmiermittel. Davon sind rund 85 Prozent Mineralöl-basiert. Mithilfe der MMS-Technologie können Fräswerkzeuge mit bedeutend weniger Kühlschmiermitteln auskommen. Zielgenau und minimal dosiert, verbrauchen die Anlagen lediglich bis etwa 90 Milliliter Schmiermittel pro Stunde – die Zerspanung läuft also nahezu trocken ab. Ein weiterer Vorteil: Damit sind abgetragene Späne vergleichsweise sauber und können recycelt werden.
Aktuell eingesetzte Hochdruckpumpen für Kühlschmierstoffe sind energie- und kostenintensiv
Neben den ökologischen Aspekten punktet die Minimalmengenschmierung mit ihrer energetischen Bilanz. Der aktuelle Prozess mit Kühlschmierstoffen ist sehr energieintensiv. Oftmals benötigen die Anlagen über 100.000 Kilowattstunden Energie pro Jahr.
Insbesondere die Hochdruckpumpe, die die Schmierstoffe zuführt, macht dabei einen sehr großen Anteil aus. Außerdem müssen die Kühlschmierstoffe in Filter- und Kreislaufanlagen aufbereitet und später aufwändig entsorgt werden. Bei der MMS-Technologie fallen diese Energieverbräuche zu großen Teilen weg, wodurch Unternehmen Kosten einsparen können.
Jedoch ist die MMS-Technologie noch nicht in allen Fräsmaschinen technisch umsetzbar. Das will das Konsortium hinter BionicTools in den kommenden drei Jahren ändern. Im Forschungsprojekt arbeiten die Unternehmen Gühring, HPM Technologie, TRUMPF Laser, Pulsar Photonics und MABRI.VISION mit dem Fraunhofer-Institut für Produktionstechnik und Automatisierung IPA und dem Institut für Stahlwerkzeuge der Universität Stuttgart zusammen. (ln)