26.01.2023

Schiffe transportieren rund 90 Prozent des weltweiten Warenverkehrs. Dabei pusten sie jährlich etwa eine Milliarde Tonnen CO2 aus ihren Schornsteinen. Im Forschungsverbund ACT Everlong arbeitet ein internationales Team daran, das klimaschädliche Kohlendioxid direkt an Bord abzutrennen und im Hafen als Rohstoff zu löschen.

Die schiffsbasierte Kohlenstoffabscheidung (englisch: Ship-Based Carbon Capture, kurz SBCC) könnte im Vergleich zu emissionsfreien Kraftstoffen wie Ammoniak und Wasserstoff eine kostengünstigere Möglichkeit für klimaneutral betriebene Schiffe werden. Doch noch sind viele rechtliche, technische und ökonomische Fragen ungeklärt. Wie lässt sich beispielsweise die Abscheidetechnik bestmöglich mit der bestehenden Infrastruktur an Bord verbinden? Wie kann das CO2 optimal in den Häfen entladen und gespeichert werden? Und wie müssen ein europäisches Entladenetz und dessen Rechtsgrundlagen aussehen? Das ACT-Everlong-Wissenschaftsteam aus 15 Ländern untersucht diese und weitere Aspekte auf zwei Schiffen. Mit an Bord: Forschungseinrichtungen, Motorenhersteller und Schiffseigner. Aus Deutschland beteiligen sich die MAN und das Forschungszentrum Jülich.

Treibhausgase der Schifffahrt reduzieren

Die Internationale Seeschifffahrtsorganisation der Vereinten Nationen (englisch: International Maritime Organization, kurz IMO) hat rechtlich verbindlich das Ziel formuliert, die gesamten Treibhausgasemissionen aus der Schifffahrt bis 2050 um mindestens 50 Prozent gegenüber 2008 zu reduzieren.

In Deutschland hat die Bundesregierung 2017 die Maritime Agenda 2025 verabschiedet. Die Agenda beinhaltet zentrale Ziele, Handlungsfelder und Vorschläge für Maßnahmen, die dazu beitragen, die Meere nachhaltig zu nutzen und gleichzeitig die Wettbewerbsfähigkeit Deutschlands als Technologie-, Produktions- und Logistikstandort mittel- und langfristig weiter zu stärken.

Ship-Based Carbon Capture erstmals im realen Betrieb

„In ACT Everlong wird SBCC nun nach verschiedenen Vorläuferprojekten erstmals auf zwei LNG-betriebenen Schiffen im realen Betrieb eingesetzt“, erläutert Dr. Petra Zapp. Die Energie- und Verfahrenstechnikerin vom Forschungszentrum Jülich ist die Projektleiterin für den deutschen Part. Eines der Schiffe ist ein riesiger Schwimmkran. Er wird genutzt, um schwere Teile auf See zu heben, zum Beispiel beim Aufbau von Offshore-Windenergieanlagen.

„Die Sleipnir ist von der Motorisierung ähnlich wie eine Fähre oder ein Kreuzfahrtschiff, sie hat einen Viertakt-Motor“, berichtet die Wissenschaftlerin. „Das andere Schiff ist ein LNG-Carrier mit Zweitaktmotor. Dort fällt im Vergleich zur Sleipnir weniger Abwärme für die Abscheideanlage an. Das heißt für uns: Die Systeme müssen unterschiedlich ausgelegt werden“, erläutert Zapp.

ACT-Eveerlong-Schema-Abbildung
©https://everlongccus.eu/
Mit der SBBC-Technik wird das CO2 direkt auf dem Schiff aus den Abgasen abgetrennt und bis zum Erreichen des Hafens zwischengespeichert. Anschließend wird es als Ladung gelöscht, zu Verwertern weitertransportiert oder unterirdisch eingelagert, wo dies rechtlich möglich ist.

Herausfordernd: die Integration der schiffsbasierten Kohlenstoffabscheidung in die Schiffstechnik

Dazu kommt, dass das SBCC-System mit der bestehenden Schiffstechnik vernetzt werden muss. So soll Abwärme aus den Schiffsabgasen zum Reinigen des Waschmittels eingesetzt oder Kälte aus dem LNG-Verdampfungsprozess genutzt werden, um das abgetrennte CO2 zu verflüssigen. Dadurch sinken die Betriebskosten erheblich, etwa gegenüber einer stationären CO2-Abscheideanlage an Land. Ziel ist, ein möglichst effizientes Wärmeübertragungssystem mit minimalen Eingriffen in die bestehenden Kraftstoffverteilungs- und Motorabgassysteme zu entwickeln. Hier ist unter anderem die Expertise des Motorenherstellers MAN gefragt.

Weitere offene Fragen: die Hafeninfrastruktur und der CO2-Transport

Neben den technischen Fragestellungen an Bord entwickeln die Forscherinnen und Forscher auch Szenarien, wie das abgeschiedene CO2 in den Häfen entladen, gelagert und zu Speicher- oder Verarbeitungsstätten transportiert werden kann — und zu welchen Kosten. „Fakt ist, dass das abgetrennte Kohlendioxid mit unterschiedlichen Temperaturen und Drücken sowie unterschiedlichen Verunreinigungen in die Häfen kommen wird“, erklärt Petra Zapp. Die Konsequenz: Das CO2 muss nachbehandelt werden. Nur so kann die Qualität sichergestellt werden, die die weiterverarbeitenden Betriebe brauchen. Dies ist ein entscheidender Baustein, um perspektivisch eine sichere Abnahme für das CO2 zu gewährleisten, so Zapp.

ACT Everlong verfolgt unter anderem folgende Ziele:

  • Reduktion der CO2-Emissionen der Schifffahrt um mindestens 70 Prozent
  • Nachweis der Wirksamkeit von SBCC auf LNG-betriebenen Schiffen
  • Bewertung der SBCC-Auswirkungen auf die Schiffsinfrastruktur
  • Identifikation von Sicherheitsrisiken und das Erarbeiten passender
    Sicherheitsvorkehrungen
  • Kostenreduktion bei der CO2-Abscheidung und -Speicherung an Bord
  • Kostenanalyse, unter anderem für das Entwickeln von Entladestrategien, die Nachbehandlung von CO2 und die notwendige Hafeninfrastruktur
  • Vorschlag für einen Fahrplan für ein europäisches CO2-Entladenetz

Ihr Team vom Forschungszentrum Jülich arbeitet an technischen und ökologischen Fragen rund um die anvisierte 70-prozentige Kohlendioxidreduktion. Dabei haben die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler die gesamte Nutzungskette im Blick: von der LNG-Lieferung über das Abscheiden bis zum Weiterverwerten. „Mit der CO2-Einsparung werden möglicherweise auch andere Umwelteffekte angestoßen, die mitbedacht werden müssen. Diese können sowohl positiv als auch negativ sein“, erläutert Petra Zapp. Positiv wäre zum Beispiel, wenn bei der CO2-Wäsche nicht nur CO2, sondern auch Schwefeldioxid (SO2) rausgewaschen würde. (it)

ACT Everlong

För­der­kenn­zei­chen: 03EE5090 A und B

Projektlaufzeit
01.10.2021 30.09.2024 Heute ab­ge­schlos­sen

The­men

CO2-Technologien

För­der­sum­me: 450.000 Euro

Interview Porträt Petra Zapp
©Gesine Born
Dr. Petra Zapp

CO2-Kreislauftechnologien
90 Prozent des weltweiten Warenverkehrs erfolgt per Schiff

Petra Zapp vom Forschungszentrum Jülich erzählt im Interview, vor welchen Herausforderungen die schiffsbasierte Kohlenstoffabscheidung  auf See steht.

mehr
Newsletter

Nichts mehr verpassen

©nightman1965/iStock/thinkstock
Mehr Informationen zu Förderprojekten, Energie-​ und Effizienztechnologien sowie förderpolitischen Leitlinien bietet das Informationssystem EnArgus.