Dr. Benjamin Dietrich Negative Emissionen
Mit NECOC realisieren wir eine weltweit einzigartige Versuchsanlage
Im Forschungsprojekt NECOC wandeln Projektleiter Dr.-Ing. Benjamin Dietrich und sein Team am Karlsruher Institut für Technologie (KIT) gemeinsam mit Partnern klimaschädliches Kohlenstoffdioxid (CO2) aus der Umgebungsluft in feinkörniges Kohlenstoffpulver um. Die Versuchsanlage für das „schwarze Gold“ ist weltweit einzigartig und gerade an den Start gegangen. Im Gespräch schildert der Verfahrenstechniker, welche spannenden Fragestellungen in den nächsten Monaten anstehen.
Herr Dietrich, was genau verbirgt sich hinter der Idee von NECOC?
In NECOC werden vier Verfahrensschritte miteinander kombiniert, um aus atmosphärischem CO2 sehr feines Kohlenstoffpulver zu erzeugen. Dieses kann unter anderem als Rohstoff in Batterien für die Elektromobilität, in Farben und Lacken, als Baustoff oder in der Landwirtschaft zur Bodenverbesserung eingesetzt werden. NECOC zeigt also einen technischen Weg auf, wie negative Emissionen erreicht werden können. Und das nicht nur konzeptionell und auf Basis rechnerischer Vorhersagen, sondern im realen Versuchsbetrieb.
Welche Verfahrensschritte sind dafür im Einzelnen notwendig?
Zunächst wird durch ein Direct-Air-Verfahren das CO2 aus der Umgebungsluft abgetrennt. Dieses wird im zweiten Schritt durch Zufuhr von Wasserstoff in einem Methanisierungsreaktor zu Methan weiterverarbeitet. Den Wasserstoff produzieren wir selbst. Er kommt zum einen aus einer mit regenerativen Energien betriebenen Elektrolyse, zum anderen quasi als Nebenprodukt aus dem eigenen Prozess. Das Methan wird dann im letzten Prozessschritt mit Hilfe einer flüssigmetallbasierten Pyrolyse in Wasserstoff und Kohlenstoff zerlegt. Den Wasserstoff führen wir, wie gerade schon erwähnt, wieder in den Prozess zurück. Das reine Kohlenstoffpulver kann nun als Rohstoff genutzt werden.
Was bedeutet Direct-Air-Verfahren?
Direct-Air-Verfahren (engl. Direct Air Capture , kurz DAC) sind Technologien, bei denen Kohlendioxid aus der Atmosphäre entnommen wird. Bei dem Prozess wird reines CO2 durch bestimmte Abscheideprozesse gewonnen.
Worauf richtet sich Ihr Augenmerk in der neu aufgebauten Versuchsanlage?
In unserer am KIT im Technikumsmaßstab aufgebauten Anlage testen und demonstrieren wir zum ersten Mal das Zusammenspiel der einzelnen Verfahren im realen Verbundbetrieb. Spannend für uns wird die Frage sein, wie effizient die Gase bei den jeweiligen Prozessschritten umgewandelt werden können und wie sich Nebenprodukte auf den Gesamtprozess auswirken.
Mit welchen Nebenprodukten rechnen Sie?
Ich könnte mir vorstellen, dass schon beim Abscheiden des CO2 aus der Luft Wasserdampf, Feinstaub oder Stickoxide in den Prozess gelangen können.
Bei der Methanisierung wäre es möglich, dass neben dem Methan auch längerkettige Kohlenwasserstoffe entstehen. Und sicher wird ein Teil des CO2 bis in die Pyrolyse gelangen. Was damit in den jeweils nachfolgenden Prozessschritten passiert, und welche Komponenten sich beispielsweise dadurch anreichern, haben wir natürlich im Vorfeld theoretisch abgeschätzt. Verlässliche Daten aus der Praxis existieren aber nicht. Hier werden die Versuchsergebnisse spannende Erkenntnisse liefern.
Was steht an weiteren Arbeitspaketen an?
In erster Linie die detaillierte Analyse des erzeugten Kohlenstoffs. Kohlenstoff ist nicht gleich Kohlenstoff. Er variiert je nach eingestellten Prozessbedingungen. Ein signifikanter Einflussfaktor ist beispielsweise die Temperatur: Ich kann die Pyrolyse mit 800, 1.000, oder 1.500 Grad Celsius betreiben. Das hat dann aber Auswirkungen auf die Modifikation des Kohlenstoffs.
Welche Qualitäten visieren Sie an?
Kohlenstoff wird in den verschiedensten Industriezweigen benötigt. In den kommenden Monaten müssen wir schauen, welche Modifikation wir wie produzieren können. Daraus lässt sich schlussfolgern, welche Industriezweige wir fokussieren sollten, auch mit Blick auf Kosten und Einnahmen. Schließlich muss sich der Prozess perspektivisch auch wirtschaftlich tragen. Interessant für uns könnte es beispielsweise sein, Leitruß für Elektroden in Lithium-Ionen-Batterien herzustellen. Diese finden sich unter anderem in Photovoltaikanlagen mit Heimspeichern oder in Elektroautos.
In einem KIT-Artikel über NECOC stellen Sie die These auf, dass der Verkaufserlös des festen Kohlenstoffs perspektivisch die gesamten Prozesskosten decken und sich somit die Umwandlung in negative CO2-Emissionen kostenfrei realisieren ließe.
Ja, das zu zeigen, ist ein Ziel der NECOC-Forschung. Als ersten Schritt werden wir hierfür umfassende energetische und stoffliche Modell-Bilanzen erarbeiten, die wir in einem zweiten Schritt mit den Daten aus unserem Versuchsbetrieb verfeinern und überprüfen können. Ungleich schwieriger wird es sein, in der jetzigen globalen Energie- und Rohstoffsituation mit äußerst dynamischen Märkten, belastbare Preisvorstellungen zu entwickeln. Ein ganz wesentlicher Punkt dabei ist die Frage, in welche Industriezweige unsere Kohlenstoffqualitäten möglichst gewinnbringend verkauft werden können. Ebenso wichtig ist die Höhe zukünftiger Vergütungen für die eingesparten CO2-Zertifikate und -Steuern. Insgesamt gibt es momentan viele Unwägbarkeiten. Aber wir sind zuversichtlich, dass sich der Prozess mittelfristig tragen wird.
Das Interview führte Ilse Trautwein, Wissenschaftsjournalistin beim Projektträger Jülich.