07.07.2022

Am 20. Juni fand das große Jahrestreffen statt, bei dem sich alle ENPRO-Akteurinnen und -Akteure zu ihren Forschungsprojekten austauschten. Ende des Jahres läuft die aktuelle Phase der Initiative aus. Wie es weitergehen soll, diskutierten die Projektpartner ebenfalls im Rahmen des Treffens.

Die chemische Industrie in Deutschland verbraucht jährlich rund 207 Terawattstunden (TWh) Energie. Davon entfallen etwa 75 TWh auf Produktionen, die Spezialchemikalien herstellen. Um den Energieverbrauch der gesamten Branche zu reduzieren, arbeiten viele große Chemieunternehmen und Forschungsinstitute seit 2014 in der ENPRO-Initiative zusammen. Ihr Ziel ist es, völlig neue verfahrenstechnische Ansätze für eine breite Produktpalette zu entwickeln und anzuwenden. So wollen die Projektpartner ihre Produktionen mithilfe modularer Anlagen auf kontinuierliche Herstellungs- und Logistikprozesse umstellen und diverse Prozesse beschleunigen. Das Besondere daran: Die Unternehmen wie Merck, BASF, Clariant, Covestro, Wacker und Evonik sind eigentlich Konkurrenten — mit vereinter Kraft gehen sie jedoch das Ziel der Energiewende in der chemischen Industrie an.

ENPRO 2.0 zeigt vielversprechende Ergebnisse

Aktuell befindet sich die Initiative in der Schlussphase von „ENPRO 2.0“. Ende des Jahres schließen darin die letzten der neun Forschungsprojekte ab. Beim 6. ENPRO-Tag am 20. Juni ermöglichten die Projektpartner detaillierte Einblicke in ihre Arbeiten. Gemeinsam gaben sie dabei auch eine Schätzung zum Einsparpotenzial ab: Jährlich bis zu drei Terawattstunden Energie – verteilt auf Strom und Wärme – könnte die deutsche Spezialchemie dank der Entwicklungen aus der ENPRO-Initiative zukünftig einsparen. Die Modularisierung und Digitalisierung der Anlagen helfen dabei. Doch nicht nur große Energieeinsparungen sind möglich – die Unternehmen benötigen auch weniger Roh- und Hilfsstoffe. Zudem können sie mit einem geringeren Planungsaufwand und reduzierten Kosten für Apparate und Automatisierung rechnen. Zeitgleich verbessern sich die Qualität und die Ausbeute der Prozesse und Wartungs- und Folgeprozesse vereinfachen sich.

Prozesse beschleunigen und Energie einsparen

Langfristig können modulare Anlagen zu einer energieeffizienten und nachhaltigen chemischen Industrie beitragen. Hierbei sind die Prozesse kontinuierlich und flexibler gestaltet. Der Gesamtprozess wird beschleunigt, indem einzelne Prozessschritte besser aufeinander abgestimmt werden. Dadurch steigt ebenso die Energieeffizienz. Nach einer Produktionskampagne können die modularen Anlagen wieder demontiert werden, was die Stillstandzeiten von produktspezifisch ausgelegten Kompaktanlagen vermeidet. Plant ein Unternehmen eine neue Produktionslinie, können die Anlagenmodule entsprechend dem herzustellenden Produkt optimal miteinander kombiniert werden. Als ein Auswahlkriterium kann dabei die Energieeffizienz definiert werden.

Erster Einsatz für ENPRO-Technologien

Beim ENPRO-Tag zeigten die Industriepartner zudem, wie sie bereits jetzt erste Ergebnisse der ENPRO-Forschungsprojekte in die Praxis überführen und ihre Produktionen dahingehend weiterentwickeln. Beispielsweise arbeitet Merck daran, die Produktion für bestimmte Spezialchemikalien modular aufzubauen. Evonik setzt modulare Anlagen weitestgehend bei Pilotanlagen und für eine nachhaltigere Infrastruktur ein.

Mit diesen ersten Schritten in Richtung Praxistransfer rückt auch die Zukunft der verbindenden Initiative in den Fokus. Die ENPRO-Partner planen aktuell die nächste Phase mit dem „ENPRO Rollout“. Darin wollen sie die entwickelten Technologien weiter in die praktische Anwendung bringen. Neben dem Einsatz von neuen Anlagen, soll es hierbei auch darum gehen, existierende Produktionslinien nachzurüsten. Dies soll die Wertschöpfung in der chemischen Industrie sowie der Pharmaindustrie und in der Biotechnologie weiter stärken. (ln)

Die Forschungsinitiative ENPRO…

2014 startete die Initiative mit dem ersten Teil „ENPRO 1.0“. Darin waren insgesamt fünf Forschungsprojekte angesiedelt – eines davon ENPRO-Connect 1.0, welches die übergreifende Zusammenarbeit zwischen den Projekten unterstützte. Mit den Forschungsprojekten von ENPRO 1.0 haben die Projektpartner die technische Machbarkeit (Technology Readiness Level drei, kurz TRL 3) von modularisierten und automatisierten Chemiekalienproduktionen analysiert und nachgewiesen. Seit Ende 2017 ist die Initiative mit neun Forschungsprojekten unter „ENPRO 2.0“ tätig. Auch hier gibt es mit ENPRO-Connect_2 eine Austauschplattform für die gemeinsame Zusammenarbeit. In den vergangenen fünf Jahren haben die Projektpartner verschiedene Anlagenmodule entwickelt und eine technische Basis geschaffen, um diese miteinander zu kombinieren. Für spezielle Produktionsverfahren konnte das Level auf TRL 6 angehoben werden.  Die Erfolge zeigen allerdings auch das große Potenzial bislang noch nicht betrachteter Produktionsschritte in der äußerst variantenreichen chemischen Industrie. So geht es einerseits darum, weitere verfahrenstechnische Prozesse effizienter zu gestalten. Andererseits sollten insbesondere digitale und sensorspezifische Möglichkeiten massiv ausgebaut werden.

Die Forschungsprojekte in ENPRO 1.0 und 2.0

Die Forschungsinitiative teilt sich bisher in zwei Abschnitte:

Zu ENPRO 1.0 zählten die Forschungsprojekte ENPRO-Datenintegration,  ENPRO-Modularisierung,  KoPPonA sowie SMekT. ENPRO 2.0 beinhaltet die Forschungsprojekte HECTOR, KoPPonA 2.0, ModuLA, MoProLog, ORCA, PreSEDA, SkaMPi, TeiA sowie VoPa. Die Forschungsprojekte ENPRO-Connect und ENPRO-Connect_2 dienten während beiden Phasen als Austauschplattform zwischen den Einzelprojektverbünden.

Mehr Informationen zu den Forschungsprojekten in ENPRO 2.0:

HECTOR — Hocheffiziente chemische Anlagen mittels Technical Operations Research

Eine Produktion wird mithilfe von standardisierten modularen Anlagen weniger komplex und damit produktiver. Die Anlagenmodule sind universeller einsetzbar, während eine maßgeschneiderte Anlage oftmals nur eine spezielle Anwendung findet. Allerdings sind sie nicht immer energieeffizienter. Das Forschungsprojekt HECTOR will diesen Konflikt lösen: Die WissenschaftlerInnen entwickeln geeignete Methoden, um die Module optimal zu kombinieren und zusammenwirken zu lassen. Zusätzlich arbeiten sie daran, ihren Verschleiß frühzeitig erkennen zu können. Damit können Energieeinsparpotenziale optimal ausgeschöpft werden. Erste Ergebnisse zeigen, dass der standardisierte Anlagenmodulbaukasten mithilfe der Methoden aus HECTOR deutlich effizienter genutzt werden kann.

KoPPonA 2.0 — Kontinuierliche Polymerisation in modularen, intelligenten, gegen Belagsbildung resistenten Reaktoren

Bei der kontinuierlichen Herstellung von Polymeren bilden sich Gelpartikel, die sich in der Anlage ablagern. Die Polymerbeläge verstopfen nach und nach Mischer, Rohrleitungen und Reaktor. Dies behindert den Herstellungsprozess. Ziel des Forschungsprojektes KoPPonA 2.0 ist es, die produktabhängige Belagsbildung genauer zu untersuchen sowie Voraussagemethoden und Gegenmaßnahmen zu entwickelt. An KoPPonA 2.0 sind mit BASF, Covestro und Wacker drei große Chemieunternehmen beteiligt. Sie bringen jeweils ein spezifisches Stoffsystem zur Polymer-Herstellung ein, das von den WissenschaftlerInnen untersucht wird.

ModuLA — Module im Lebenszyklus einer prozesstechnischen Anlage

Die chemische Industrie will modulare Anlagen einfach und erfolgreich einsetzen. Dazu sind ausreichend Informationen zum Lebenszyklus der einzelnen Module zwingend erforderlich. So „altern“ Module unterschiedlich schnell und verändern dadurch ihre prozessphysikalischen Eigenschaften. Im Forschungsprojekt ModuLA erarbeiten WissenschaftlerInnen ein Modell, um Anlagenmodule informationstechnisch miteinander verknüpfen zu können. Zudem ermöglicht das Informationsmodell, neue Produktionsverfahren zu simulieren. Dabei können sie feststellen, ob bereits vorhandene Anlagen für die Produktion geeignet sind. Je mehr Informationen zugänglich sind, desto besser lassen sich Energieeffizienz und Produktqualität steigern.

MoProLog — Modulare Produktionslogistik

Modulare Anlagen sind nicht nur in der chemischen Produktion interessant, sondern auch in der nachgeschalteten Logistik. Derzeitige Logistikanlagen sind hochkomplex und wenig flexibel, um auf aktuelle Marktentwicklungen reagieren zu können. Dies wirkt sich negativ auf eine energieeffiziente Nutzung aus. Das Team hinter MoProLog entwickelt daher Informationsmodelle und Datenschnittstellen für modulare Logistikanlagen. Die erarbeiteten Ergebnisse demonstrieren sie anhand eines modularisierten Lagenpalettierers. Dieser wird mit nötigen Schnittstellen ausgerüstet und mit den vor- und nachgeschalteten Logistikprozessen verknüpft. Unternehmen können auf diese Weise vermeiden, dass es zwischen zwei unterschiedlich schnell ablaufenden Prozessen zu Warte- und damit auch Lagerzeiten, sogenannten Zwischenpuffer-Lagerungen, kommt.

ORCA — Effiziente Orchestrierung modularer Anlagen

Das Team des Forschungsprojektes ORCA entwickelt Methoden und Werkzeuge, um modulare Anlagen intelligent miteinander zu verknüpfen. Damit können Herstellungsprozesse schneller entwickelt, genehmigt, zertifiziert und in Betrieb genommen werden. Erste Ergebnisse von ORCA zeigen, dass dadurch Planungs- und Realisierungsprozesse bis zu 80 Prozent schneller ablaufen. Dies wiederum geht mit einer CO2–Ersparnis von bis zu 30 Prozent einher.

PreSEDA — Anpassung und modulare Integration von Sensorsystemen in den produktionstechnischen Kontext der chemischen Industrie unter Berücksichtigung der Anforderungen einer KI-basierten MSR

Eine erfolgreiche Digitalisierung ist für die chemische Industrie essenziell. Insbesondere bei einer kontinuierlichen Betriebsführung müssen Anlagen durchgehend online überwacht werden. Vorhandene Sensorsysteme sind dieser Anforderung vielfach nicht gewachsen. Zudem sollen Produktionsanlagen zukünftig auch auf künstliche Intelligenz zurückgreifen können. Somit müssen Sensorsysteme entsprechend der gestellten Anforderungen ausgewählt oder angepasst sein. Das Forschungsprojekt PreSEDA beschäftigt sich daher damit, innovative Sensortechnologien für den Praxistransfer vorzubereiten. Sie sollen zukünftig aus dem Labor in die chemische Industrie gebracht werden. Exemplarisch entwickeln die WissenschaftlerInnen von PreSEDA ein Demonstratorsystem, das photoakustisch Spurengase messen kann.

SkaMPi — Skalenübergreifende Methodik zur Planung und Entwicklung ressourceneffizienter Prozesse

Um ein Produkt herzustellen, eignen sich verschiedene Anlagenmodule unterschiedlich gut. Bisher basiert die Auswahl meist auf Erfahrungswerten oder experimentellen Daten. Das Forschungsprojekt SkaMPi hat es sich daher zum Ziel gesetzt, eine Auswahlmethodik zu entwickeln. Unternehmen können mit dieser Methode Anlagen optimal auf das herzustellende Produkt abstimmen. Die Auswahl erfolgt anhand unterschiedlicher Kriterien — so ließen sich etwa besonders energieeffiziente Anlagenmodule identifizieren, die sich für die jeweilige Produktherstellung eignen.

Erste Ergebnisse aus SkaMPi zeigen, dass optimierte Prozesse rund 60 Prozent Energie einsparen. Ebenso reduzieren sich der Lösemittelbedarf sowie die anfallenden Abfallmengen mit bis zu 60 Prozent deutlich.

TeiA — Trennverfahren mit effizienten und intelligenten Apparaten

Im Forschungsprojekt TeiA entwickeln WissenschaftlerInnen eine Toolbox, um Stoffgemische effizient und kontinuierlich zu trennen. Sensoren überwachen dabei, wie ein jeweiliges Stoffgemisch kristallisiert oder extrahiert wird. Damit können Pharma-, Fein- und Spezialchemikalien einfacher und schneller produziert werden. Zudem ergeben sich durch die kontinuierliche Betriebsführung Stoffeinsparungen, die den Prozess deutlich ressourceneffizienter machen.

VoPa — Vollintegrierte Partikelerzeugung, -wachstum und -abscheidung in einer kontinuierlichen Pilotanlage

Im Forschungsprojekt VoPa entwickeln WissenschaftlerInnen eine kompakte kontinuierliche Modulanlage, um Partikel herzustellen. Die Anlage integriert drei Verfahrensschritte: zu Beginn kristallisieren Partikel in einer Flüssigkeit, dann trennt die Anlage Feststoff und Flüssigkeit voneinander und zuletzt trocknet sie die entstandenen kristallinen Partikel. Die modulare Anlage beschleunigt den Herstellungsprozess und kann flexibel und energiesparend eingesetzt werden. Zudem ist sie mit einer intelligenten automatisierten Steuerung ausgestattet, die den Prozess ressourceneffizient gestaltet. Die WissenschaftlerInnen haben bisher eine Laboranlage aufgebaut, die nachweislich funktioniert. Nun übertragen sie die Ergebnisse auf einen industriellen Maßstab.

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